Geschichte

Als ein gewisser Nikolaus Veh aus Binswangen im Jahr 1851 auf den Boden seines Klarinetten-Etuis fein säuberlich seinen Namen und die Jahreszahl “1851” niederschrieb, konnte er sicherlich nicht ahnen, daß er damit einmal den Existenznachweis für die Binswanger Musikkapelle seit dieser Zeit liefern würde. Knapp 120 Jahre später, nämlich 1970, begründete sich auf den Fund dieser Klarinette, nebst zwei Flöten und zwei Piccoloflöten, die Verleihung der “Pro musica”-Plakette durch den damaligen Bundespräsidenten Gustav Heinemann. Eine Fotographie aus dem Jahr 1882 zeigt die Binswanger Blaskapelle bereits in einer Stärke von 20 Mann, was der Besetzung einer damaligen Regiments-Musik nicht viel nachstand.

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Michael Beltinger, der 1842 von seinem Vater Anton Beltinger das Lehreramt in der Gemeinde übernommen und eine fundierte musikalische Ausbildung von den Dillinger Kapuzinern erhalten hatte, gründete während seines 50-jährigen Wirkens Kirchenchor und Musikkapelle. Seinen späteren Schwiegersohn Anton Löffler, der ab 1885 die Kapelle leitete, unterrichtete er in Trompete und Geige. Im Jahr 1900 übernahm Max Stegmüller die Leitung der Musikkapelle, um sie nach dem ersten Weltkrieg an seinen Bruder Theodor abzugeben. Bis zu ihrer Auswanderung 1926 nach Amerika formten die Brüder Stegmüller, wohl auch bei der Militärmusik ausgebildet, eine der leistungssträrksten Kapellen des ganzen Umlandes, wie das heute noch vorliegende, damals gebräuchliche Notenmaterial bezeugt. Nach der “Ära Stegmüller” oblag die Leitung der Kapelle bis zum Jahr 1949 Bernhard Helmschrott.

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Die Blasmusik war bis zu dieser Zeit nie Selbstzweck, sondern spielte immer zu einem Anlaß auf, zu kirchlichen und weltlichen Festen, zu Hochzeit und Beerdigung, und sie war weitgehend die einzige Möglichkeit, Musik “live” zu erleben. Das Repertoire bestand aus Marschmusik, mehr oder weniger geglückten Arrangements klassischer Werke, oder eben überlieferter Tanzmusik, den Walzern, Schottisch, Drehern und “Schiabern”. Dies änderte sich nach dem zweiten Weltkrig. Die Amerikaner brachten das Saxophon mit, die Heimatvertriebenen das Bariton. Mittels TV, Rundfunk und aller möglicher Tonträger war Musik jeglicher Coleur plötzlich immer und überall verfügbar. In die Besetzung der Blaskapellen kam ebenso Bewegung wie in deren Repertoire, weil die Ansprüche stiegen, weil von Laienmusikern, noch dazu ungenügend ausgebildet, verlangt wurde, alles und unverzüglich und möglichst noch original nachzuspielen, was aus den verschiedenen Kästen dudelte.

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Da nutzte es auch nicht mehr, daß neben der “klassischen Bläserbesetzung” eine passable Streichmusik gemacht wurde; in vielen Dörfern bedeutete dieses Spannungsfeld das Ende der traditionellen Blasmusik. In Binswangen wechselten in den fünfziger Jahren einige Male die “Muse-Moischter”. Alfons Schmalz und vor allem Johann Reißner hielten die Tradition bis zur Gründung des Musikvereins im Jahr 1967 hoch. Junge Leute waren es dann, die den Eigenwert erkannten und zur Blasmusik drängten. Berufsmusiker als Dirigenten von Anfang an und eine Vereinsführung, die auf Kontinuität und nicht auf ständigen Wechsel setzte, wiesen seither den Weg, dessen Glanzpunkte die Einkleidung mit der schwäbischen Tracht 1970, der Bau des Musikheimes 1987, Konzertreisen nach England und in die Schweiz, die Produktion zweier Tonträger, Auftritte im Bayrischen Rundfunk sowie zahlreiche Konzerte waren.

Dem großen Blasorchester mit rund 55 Musikern und dem zahlreichen Nachwuchs stehen heute mit der modernen Mehrzweckhalle und der “Alten Synagoge” exquisite “Konzerträume” zur Verfügung. Was die Anforderungen angeht, die heutzutage an eine Musikkapelle gestellt werden, sieht sich der Verein vor die Aufgabe gestellt, den Spagat zwischen “Kommerz” (was das nötige Geld einbringen soll) und “Kunst” (wofür man dieses Geld gerne ausgiebt) zu bewältigen. Bis jetzt haben die Binswanger Musiker jedoch noch stets einen gangbaren Weg zwischen diesen beiden Polen gefunden.

(aus “Das Gebläse”, 22. Ausgabe Dezember 2000)

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